Schock oder Gähnen Offener
Brief der Stuckisten wider die Postmoderne Stuckisten
meinen es ernst. Sie haben genug vom ewigen Rumgekasper der Brit-Art-Künstler
auf Betten, in Zelten und mit toten Tieren. Gegründet hatten sie sich
im August vergangenen Jahres mit einem Manifest, das eingeschlagen
hat. Darin vertraten sie die Ansicht, daß Ausdruck in der Kunst kein
verstaubtes altmodisches Ding aus alten Tagen, sondern dringend notwendig
ist. Kunst ist nicht Kontext, sondern Kunst ist Malerei, meinen sie
anti-avantgardistisch. Stuckism
ist lustig, aber kein Witz. Die Beleidigung, die Tracey Emin, die
zuletzt mit ihrem in der Londoner Tate Gallery im letzten Herbst ausgestellten,
zugemüllten Bett durch die Medien geisterte, ihrem Ex-Freund Billy
Childish an den Kopf warf, er sei steckengeblieben (»stuck«), verstand
er als Kompliment und machte seine eigene Kunstbewegung draus. Gemeinsam
mit Charles Thomson, Sexton Ming, Ella Guru, Wolf Howard und einigen
anderen notorischen Quälgeistern geht Billy Childish dem Kunstestablishment
gehörig auf die Nerven. Anfang März wurde in der Londoner Gallery
108 im Stadtteil Shoreditch die zweite große Stuckisten- Ausstellung
mit dem Titel »Der Rücktritt von Sir Nicholas Serota« eröffnet. Das
prominenteste Bild der Ausstellung, ein Gemälde von Charles Thomson
mit dem Titel »Sir Nicholas Serota entscheidet über eine Neuanschaffung«,
zeigt den Direktor der Londoner Tate Gallery vor einer riesigen roten
Unterhose stehend und fragend: »Ist das ein echter Emin (10 000 Pfund)
oder eine wertlose Fälschung?« Pünktlich zur Eröffnung verfaßten Childish
und Thomson einen »Offenen Brief an Sir Nicholas Serota«, den Direktor
der Tate Gallery, der im folgenden dokumentiert wird. Conny
Lösch Schock
des Neuen oder Gähnen angesichts des Offensichtlichen? Jede
arme Seele, die sich auf der Suche nach Visionen, Wahrheit oder ganz
einfach einem Weg nach vorne der zeitgenössischen Kunst zuwendet,
wird sehr enttäuscht sein. Die Postmoderne, unsere »offizielle Avantgarde«,
ist eine coole, geschickte Vermarktungsmaschinerie, innerhalb derer
die Cleverness und der Zynismus einer Kunst, die von nichts als sich
selber handelt, Gefühlen, Inhalten und Glauben jede Bedeutung rauben.
Niemals zuvor ist eine Bewegung, die öffentlich erklärt, eine neue
Richtung vorzugeben, so weit hinter den Wünschen und Belangen einer
Gesellschaft zurückgeblieben, der sie sich für überlegen hält. Seit
den sechziger Jahren hat ein Paradigmenwechsel hin zu Dezentralisierung,
Spiritualität und neuer Achtung vor den Gesetzen der Natur stattgefunden.
In ihrer fieberhaften Introvertiertheit hat die Postmoderne dieses
Ereignis nicht einmal zur Kenntnis genommen, statt dessen geht sie
weiter in ihrem geistlosen Versuch, gefährlich und modern zu wirken,
mit Oberflächlichkeit und Ironie hausieren. Leute wollen keine Supermärkte
außerhalb der Stadt, sie wollen keine genmanipulierten Lebensmittel
und sie wollen keine Concept-Art. Die
Idiotie der Postmoderne besteht in ihrem Anspruch, der Höhepunkt der
Kunstgeschichte zu sein - während sie gleichzeitig die Werte, die
Kunst überhaupt erst wertvoll machen, verleugnet. Sie gibt vor, sich
mit bedeutungsvollen Inhalten auseinanderzusetzen, besitzt aber keinerlei
Bedeutung oder Sein jenseits des verschwurbelten Dialogs, den sie
mit sich selbst führt. Der
Wert der Kunst richtet sich nach der Ebene von Vision und Einsicht,
die der Künstler erreicht. Es ist ein sich ständig vertiefender Prozeß.
Die Überlegenheit der Brit-Künstler jedoch scheint in der Aufrechterhaltung
ihres Medienruhms innerhalb der Künstlerhorde zu sein. Diese Bewußtseinsebene
spiegelt sich in der oberflächlichen, faulen und albernen Natur ihrer
Arbeiten wider. Die
Entstehung von Kunst durchdringt ihre Bedeutung. Kunst, die nicht
mit Erfahrung hergestellt oder bezahlt wurde, ist ohne Bedeutung.
1915 war der Witz der Dadaisten dringend notwendig und unerhört; als
Verlautbarung postmoderner Ironie wird er unglaublich öde. Wenn es
innerhalb der Postmoderne Innovation und Vision gibt, dann auf dem
Gebiet der Vermarktung von Kunst. Gott
ist in der westlichen Kunst irgendwann während des ersten Weltkriegs
gestorben, und, obwohl es Spaß gemacht hat, ihn von seinem hohen Roß
zu stoßen, ist es nicht besonders amüsant, der Künstlerhorde heute
zuzusehen, wie sie auf ihn eintritt, obwohl er schon am Boden liegt
(besonders dann nicht, wenn ihre Dealer wie Gebrauchtwagenhändler
in ihren Gucci-Uniformen im Schatten stehen, mit ihren Taschenrechnern
klappern und in ihre vulgären Handys wispern). Die Arbeit, die diese
Marionettenspieler fördern, stufen wir als »Autounfall-Kunst« ein:
Das einzige Publikum, das sie anzieht, ist eines, das morbide Neugierde
treibt. Die
Begründer des Dadaismus würden den Konformismus und die Mutlosigkeit,
die diese heutigen Heuchler an den Tag legen, mißbilligen. Man kann
nicht anders als glauben, daß Saatchis schale Sensationsgier Duchamp
hätte wünschen lassen, er hätte seinen Pißpott niemals ausgestellt
und wäre statt dessen Aquarellmaler geworden. Die
trübseligen Objekte und klischeehaften Ansammlungen der neuesten Künstlerstars
vermüllen die Ausstellungsflächen unserer Galerien und langweilen
uns mit ihrer abgrundtiefen Offensichtlichkeit. In der Zwischenzeit
vollziehen die Kritiker lächerliche geistige Turnübungen, um etwas
über Dinge zu sagen, über die es nichts zu sagen gibt, weil sie von
nichts handeln. Es
bedarf der Ausführung, daß ein alltäglicher Gegenstand, zum Beispiel
ein Bett, in seiner normalen Umgebung, das heißt einem Schlafzimmer,
immer nur ein Bett bleibt. In der Tat würde er noch immer nur ein
Bett bleiben, würde er in einem Kaufhausschaufenster ausgestellt oder
in einen Kanal geworfen werden. Darüber hinaus behaupten wir, daß
das unselige Bett noch immer nicht weniger - allerdings auch nicht
mehr - als nur ein Bett wäre, ließe man es von der Spitze des Eiffelturmes
herunterbaumeln oder auf dem Mond landen. Es scheint, als hörte besagtes
Bett nur dann auf, nur ein Bett zu sein und würde irgendwie zu Kunst
werden, sobald man es in den »kontextualisierenden« Raum einer Galerie
stellt. Wir schließen daraus, daß das Verdienst dieser umwerfenden
Metamorphose dem Galeriebesitzer zugeschrieben werden sollte. In der
Kunst heute scheint es der Galerist zu sein, der die wundersame Verwandlung
weltlicher Gegenstände in geniale Werke zu Wege bringt! Wir
wollen nun überlegen, was mit einem solchen Gegenstand in dieser unglücklichen
Situation geschieht, diesmal vielleicht der Abwechslung halber anhand
der »Verkunstung« eines Backsteins statt eines Betts. In seinem früheren
Leben hatte der Backstein keine Bedeutung - nur eine Existenz und
eine potentielle Funktion (am nützlichsten als Teil einer Wand). Da
er nun nicht länger bloß ein Backstein, sondern ein Kunstwerk ist,
und da Kunst qua definitionem eine Aktivität von Bedeutung ist, muß
eine Bedeutung gefunden werden. Ein Interpretationsverwalter erscheint
also im überregionalen Fernsehen und erklärt den Backstein zu einem
Symbol für des Künstlers benachteiligtes Aufwachsen in Birmingham.
Ein führender Kritiker könnte ihn ebensogut als feministische Dialektik
verstehen. Der Galeriebesucher seinerseits könnte ihn möglicherweise
als minimalistische Weiterentwicklung von Carl Andrés berühmtem Rechteck
betrachten. Tatsächlich
verhält es sich so, daß der Backstein, weil er von nichts handelt,
von jeder verdammten Sache handelt, die einem nur einfallen kann.
Dadurch wird dieses besondere Kunstobjekt komplett überflüssig, denn
derselbe imaginative Prozeß kann erreicht werden, indem man ganz einfach
in jeder beliebigen Umgebung die Augen aufmacht und sie auf den ersten
Gegenstand richtet, der einem in den Blick gerät - die logische Fortsetzung
der Kunst im Leben wird dann erkannt und der Bedarf an Kunst vollständig
zunichte gemacht. Gut so! Dies zeigt sowohl die Lächerlichkeit einer
Schule, die sich diesen Praktiken verschrieben hat, als auch die Falschheit
des Strebens nach ständigem »Fortschritt« innerhalb einer linearen
Kunstgeschichte. Weit davon entfernt, der Gipfel künstlerischer Leistung
zu sein, ist Brit-Art weniger fleißig, Ideen fördernd und bedeutungsvoll
als eine durchschnittliche Ausstellung einer lokalen Hobby-Künstlergruppe. Malerei
besitzt, indem sie innere Erfahrungen in zugängliche und wiedererkennbare
Bilder, in Form von Resonanz und Mysterium bringt, eine Tiefe, die
für die menschliche Psyche so wesentlich ist wie Nahrung und Wasser
für den menschlichen Körper. Pigment ist für den Ausdruck eines Menschen
unerläßlich. Das Malen von Bildern hat seit den Höhlen von Lascaux
die Zeiten überdauert, es gestattet uns die direkte Konfrontation,
das Erkennen und die emotionale Auseinandersetzung mit unseren Möglichkeiten
und Grenzen. Nur
indem wir es wagen, mit vollkommener Ehrlichkeit zu kommunizieren,
werden wir unserem wahren Wesen gerecht. Ein Gemälde von Delacroix,
ein Aquarell, entstanden in einem Malkurs für Erwachsene, oder eine
Kinderzeichnung werden stets als Kunst erkennbar sein, selbst wenn
sie weggeworfen und auf der Straße aufgelesen werden. Wir nennen dies
den »ismus dessen, was das Ding ist«. Was auch immer der Kontext sein
mag, ein Gemälde bleibt ein Gemälde. Ähnlich wie ein toter Hai immer
nur ein lebloser Fisch bleibt, unabhängig von seinem Kontext. Und
egal, wieviel Einfaltspinsel heute dafür bezahlen, Postmodernismus
ist für den Mülleimer der Geschichte bestimmt, wohingegen die Produktion
von Bildern immer wesentlich sein wird für den Kenntnisstand und das
Selbstverständnis der Menschheit. Übersetzung: Conny Lösch |